Interview mit Guli

1.     Liebe Guli, wann hast du gelernt zu nähen?

In der sechsten Klasse, als ich 13 Jahre alt war, bin ich zum ersten Mal zu einer Nähmeister gegangen, um von ihr zu lernen. Ich war nur circa vier Monate bei ihr. Dann habe ich von unseren Nachbarn Bestellungen aufgenommen, um für sie Kleinigkeiten zu nähen. Ich konnte nicht gut nähen und habe ständig Fehler gemacht. So bin ich immer wieder zu den unterschiedlichen Näherinnen gegangen und sie haben mir erklärt was mein Fehler ist. Auf diese Weise habe ich aus meinen Fehlern gelernt. Als ich in der elften Klasse war, habe ich meine eigene Werkstatt eröffnet und konnte von den Einnahmen bereits leben. Der Vermieter der Werkstatt war sehr skeptisch und überrascht, dass so eine junge Frau diese Werkstatt leiten will.

2.     Mit welchem Stoff arbeitest du am liebsten?

Ich arbeite sehr gerne mit Adras. Ich liebe diesen Stoff. Der Ikat-Adras Stoff wird immer noch wie vor hunderten Jahren gewebt. Es ist ein sehr mühsamer Weg, bis der Stoff entsteht. Es ist wie ein Wunder. Ich liebe den Prozess der Arbeit mit Ikat Adras. Ikat Adras ist ein schmaler Stoff und die wahre Kunst besteht darin, den Stoff so zu schneiden, dass die Muster von allen Seiten beim Kleidungsstück gleich und symmetrisch sind. Zudem ist Ikat Adras ein natürlicher Stoff, ohne Polyester. Deshalb ist der Stoff beim Nähen sehr weich und „gehorsam“.

Ikat-Adras Weberei in Bukhara

3.     Woher nimmst du deine Inspiration? Wir sind immer begeistert von deinen Ideen.

Wenn ich sehr gut gelaunt bin (sie lacht). Wenn ich sehe, dass meine Arbeit der Kundin gefällt, will ich die Kleidung noch schöner und schicker machen. In solchen Momenten inspirieren mich. Außerdem inspiriert mich mein Sohn und wenn ich mit ihm spiele. Leider habe ich nicht immer Zeit für ihn, jedoch genieße ich jede Sekunde mit ihm.

4.     Was liebst du an deine Heimat Usbekistan?

Ich liebe unsere Pilgerorte. Diese Orte sind besonders spirituell. Außerdem liebe ich es in der Natur zu sein. In Bukhara liebe ich Labi Hawuz, da ist es immer ruhig und sauber. Ich liebe auch nachts oder morgens ganz früh zum Basar zu gehen. Mit den Menschen auf dem Basar zu handeln und sehr leckeres Obst und Gemüse zu kaufen. Besonders im Sommer, wenn es Melone und Wassermelone gibt, macht es sehr viel Spaß.

5.      Was bedeutet es für dich Mutter zu sein?

Mutter zu sein – ist mein größtes Glück. Ich kann es manchmal kaum glauben, dass ich so ein Glück erleben darf. Wenn ich krank oder traurig bin, kommt mein Sohn zu mir und fragt einfach: „Mama, wie geht es dir?“, und ich fühle mich sofort besser. Ich sehe meinen Sohn nicht wie ein Kind, sondern er ist für mich wie mein Berg. Es tut meiner Seele immer weh, wenn ich zu viele Bestellungen von den Kundinnen habe und für meinen Sohn manchmal wenig Zeit habe.

6.     Hast du Träume, liebe Guli?

Oh, ich habe sehr viele Träume (sie lacht). Mein erster Traum ist meine eigene größere Werkstatt zu eröffnen und für unsere einheimischen Frauen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ich will das unser Team wächst und wir möglichst viele Schneiderinnen haben.

Ich will, dass mein Sohn studiert und einen sehr guten Job bekommt. Ich werde dann auf seine Kinder aufpassen und seiner Frau im Haushalt helfen. Ich will nicht, dass seine Frau zu viel arbeitet. Ich arbeite sehr viel und ich arbeite immer unter Druck, ich will nicht das seine Frau dasselbe erlebt. Das ist kein schönes Gefühl. Ich träume von einem Haus voller Enkelkinder. Die Zeit, die ich nicht für meinen Sohn finde, werde ich für meine Enkelkinder haben und mich mit ihrer Erziehung beschäftigen.

Außerdem will ich eines Tages nach Mekka pilgern.

Die Händen von Guli, während der Arbeit

7.     Welche handwerklichen Künste beherrschst du noch?

Ich kann Suzanis sticken. Ich habe früher von Hand traditionelle Chapans produziert. Das ist eins der aufwändigsten Künste. Bei der Chapanherstellung muss man teilweise gleichzeitig mit 2-3 Nadeln nähen, damit die Fäden gleichmäßig sind. Es ist eine anstrengende Arbeit und heutzutage wird sie selten wertgeschätzt. Als ich jung war, habe ich noch in einer Seidenfabrik gearbeitet. Wir haben von Hand Seide hergestellt. Seide herzustellen, ist wie ein kleines Wunder. Es ist eine sehr feine und gleichzeitig grausame Arbeit.

8.     Was heißt für dich Freiheit?

Ich fühle mich frei, wenn ich das Haus verlasse und selbst entscheide was ich mache und wohin ich gehe. Im Alltag, wenn ich irgendwohin gehe, ist es wegen meines Berufes. Ich muss auf dem Basar Knöpfe kaufen oder Schmucksteine für die Kundinnen wählen, um ihre Kleidung zu dekorieren. Mein Sohn wird krank und wir müssen zum Arzt fahren. Sehr selten habe ich die Möglichkeit, irgendwohin zu gehen, nur für mich, nur für meine Erholung.

9.     Wie viele Stunden arbeitest du?

Am Tag arbeite ich circa 12 Stunden. Im März zum Beispiel habe ich einige Tage 21 Stunden gearbeitet, weil wir sehr viele Bestellungen hatten. Der Monat März ist für unsere Branche Hochsaison und wir bekommen sehr viele aufwändige Bestellungen von unseren Kundinnen aus Bukhara. In Bukhara wollen immer mehr Frauen aufwändige Steinstrickerei auf ihrer Kleidung haben. Wenn ich ein Kleid / eine Bluse in vier-fünf Stunden nähe, brauche ich für diese Strickerei 8-10 Stunden. Demensprechend müssen wir sehr lange arbeiten. Jetzt während des Ramadans schone ich mich und arbeite sehr langsam. Manchmal, wenn ich sehr gestresst bin, lasse ich die ganze Arbeit liegen und gehe einfach etwas Leckeres für meinen Sohn und mich kochen. Ich liebe es zu kochen und Kochen hilft mir zu entspannen

Dank Guli und ihrer demütigen Arbeit entstehen einigen unsere Teile. Inzwischen arbeiten wir mit Guli über vier Jahren :)!

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