Spiritualität im Alltag des Usbekistans

Wir – die Usbekinnen sind ein sehr abergläubisches und spirituelles Volk. Für uns ist dieses Bereich unseres Alltags sehr wichtig. Warum? Weil wahrscheinlich sonst das Leben unerträglich scheinen würde. Aber über alles der Reihe nach. Heute erzähle ich euch einige abergläubische / spirituelle Bräuche. Es sind ca. 20 kleine Geschichten, Rituale und Glaubensätze, die uns im Alltag immer begleiten. Hier möchte ich euch bitten, diese Rituale oder Glaubensätze nicht auszulachen und respektvoll zu bleiben. Es ist in Ordnung, wenn welche für euch komisch, seltsam klingen, für mich ist es auch sehr komisch über so ein intimes Bereich wie Spiritualität auf Deutsch zu schreiben. Weil die Worte nicht in der Lage sind, die ganze Gefühlwelt hinter diesen Zeilen zu beschreiben. Letztendlich sind diese Bräuche zum Teil sehr alt und werden von der Generation zu Generationen weitergegeben. Das finde ich wunderschön.

Is – heißt auf Usbekisch „Geruch“. „Is“ oder auf Tadjikisch „Buy“ ist ein Gebäck aus Hefeteig, den man in Dreieck schneidet und frittiert. Dieses Gebäck trägt diesen Namen, weil man glaubt, dass der Geruch von dem Öl, wenn man dieses Gebäck frittiert, bis zum Paradies geht. Wenn jemand beim Kochen seine Wünsche, Sorgen, Hoffnungen innerlich ausspricht, werden sie vom Gott gehört. Is macht man oft, wenn man etwas Schlechtes geträumt hat, wenn man vor dem neuen Anfang steht oder am Tag des Todes jemanden aus der Familie.

16000 Welten – nach der spirituellen islamischen Lehre der Gott hat 16000 Welten geschafft. Der Mensch sei die schwächsten Wesen von allen, die in diesen Welten leben. In diesen Welten leben alle möglichen Geister, Engel, böse Wichter. Manchmal kommen diese Wichter in unserer Welt und leben mit uns, die menschlichen Augen können sie aber nicht sehen.

Warum schreit der Pfau? Es gibt eine Legende, die uns immer Ältere erzählt haben. Pfau war ein Vogel im Paradies. Pfau war stolz auf seine Schönheit. Als Teufel ins Paradies eindringen wollte, hat Pfau ihm die Schlange geschickt. Als Gott von der Sünde von Adam und Eva erfuhr, war er wütend auf die Menschen und Pfau. Als Strafe hat er Pfau zur Erde geschickt und ihre wunderschönen Pfoten in den hässlichen umwandelt. Deshalb immer, wenn Pfau stolz spaziert und plötzlich seine Pfoten sieht, schreit er, weil er an seine Sünde und an Strafe des Gottes denkt, sowie an seine vergangene Schönheit.

Über die Feigenbäume – Man sagt (und mit „man sagt“ meine ich Ältere Generation der Menschen in Usbekistan. Sie sind bis heute so gesagt, die Hüterinnen der Traditionen), dass die Feigenbäume direkt aus Paradies kommen und deshalb besonders spirituell sind. Nach den Erzählungen, nachts kommen Geister aus 16000 Welten und sitzen auf dem Feigenbaum. Man sollte deshalb möglichst vermeiden, die Feigenbäume nachts zu berühren, in ihrer Nähe zu sein, unter diesen Bäumen zu laufen.

Haare darf man nicht ins Müll werfen – Haare, die ausfallen oder die geschnitten wurden, darf man nicht in den Müll wegschmeißen. Man soll sie sammeln und unter dem Baum begraben, der Früchte trägt. Am besten unter den Traubenreben oder Granatapfelbaum.

Zupf nie deine Augenbrauen – das betrifft Frauen, weil die Männer generell in Usbekistan nie ihre Augenbrauen zupfen. Die älteren Menschen glauben, dass in jedem Haar des Augenbrauens ein Engel aus Paradies sitzt und es ist eine Sünde diese Engel wegzupfen.

Die Zeit ab 02:00 Uhr bis 04:00 Uhr ist eine Schlafzeit – für meine Mutter war immer wichtig, dass in diesen zwei Stunden in der Nacht alle schlafen, weil um diese Zeit die Geister der Verstorbenen kommen, um die Lebenden besuchen. Immer wenn ich bis spät Nacht wach war, war es ein gruseliges Gefühl, zu wissen, dass wahrscheinlich ich im Zimmer oder in der Wohnung nicht allein bin.

Scherben bringen Glück, aber anders. Bei uns, wenn etwas schiefläuft, etwas kaputt geht oder etwas bricht, sagt man „das Unglück, das mich verfolgte, möge an diesem Geschehen bleiben“. Auf Deutsch klingt das sehr lang, aber das sind 3-4 Worte. Der Glaubenssatz hinter diesem Spruch ist Folgender: mein Handy wurde in Budapest gestohlen. Das heißt mich verfolgt ein Unglück. Indem, dass der Mann nur man Handy gestohlen hat, war es mein Unglück, das mich verfolgte. Dieses Unglück könnte viel schlimmeren Ausmaß nehmen: ich hätte eine Verletzung bekommen, oder der Mann hätte mich mit Messer erstechen können. Deshalb wenn z.B. in der Küche ein Geschirr bricht, sagen die Menschen „Das war mein Unglück und möge dieses Unglück in diesem Geschirr sein“, damit dieses Unglück keine weiteren schlechten Sachen bringt. Es ist ein wenig kompliziert zu erklären, aber ganz einfach gesagt heißt es: wenn etwas schiefläuft, wurde man von einem Unglück verfolgt und hoffentlich nimmt dieses Unglück nicht größere Demissionen an.

Spieglein, Spieglein an der Wand, bring mir kein Unglück ins Haus – genauso wie mit dem Geschirr auch mit dem Spiegel. Man darf auf keinen Fall auf den Spiegel gucken, der zerbrochen ist. Auch wenn es minimale kleine Risse sind. Außerdem darf man nicht Bett vor dem Spiegel haben. Man sagt, dass in der Nacht Spiegel die Energie von den Menschen saugt und die Menschen immer müde und kraftlos werden.

Die Geister beobachten uns – in unserer Spiritualität haben wir gelernt, dass die Geister der verstorbenen Menschen in anderer Welt weiterleben. Die Geister der verstorbenen Verwandten beobachten ihre Familien und beschützen sie von möglichen Unglücken. Deshalb träumen wir von ihnen und sie kommunizieren mit uns hauptsächlich durch unsere Träume.

Schlecht geträumt, erzähl es dem Wasser – erstens wurde uns als wir Kinder waren, beigebracht, dass kein Traum schlecht ist. Man darf nicht einen Traum als schlecht bezeichnen. Wenn jemand etwas „nicht Gutes“ träumt, soll man diesen Traum nur dem Wasser erzählen. Das fließende Wasser nimmt diesen schlechten Traum mit und dieser Traum geht nicht in Erfüllung.

Geduld als spirituelles Überlebenstool – wahrscheinlich ein wichtiger Grund warum Frauen in Usbekistan nicht verrückt werden. Menschen glauben daran, dass alles was passiert einen göttlichen Grund hat. Man darf nicht undankbar sein und sich über die Ereignisse beschweren. Man muss alles was im Leben eines Menschen passiert, mit der Dankbarkeit, Demut und Geduld empfangen. Es ist Schicksal und man kann nicht vom Schicksal wegrennen.

Schwarze oder weiße Magie – unsere Frauen besuchen oft die Vorhersagerinnen und nehmen in Anspruch ihre möglichen „Dienstleistungen“. Mehr dazu kann ich leider nicht sagen.

Friedhof – ist besonderer Ort für uns, der uns an die Kurzlebigkeit des Lebens erinnern soll. Wir besuchen oft die Gräbe der verstorbenen Verwandten. An Feiertagen, an den Geburts- und Todestagen der Verwandten sollen man sie besuchen und um ihre Seele betten. Zum Friedhof bringt man oft Is mit und verteilt einfach den fremden Menschen dieses Gebäck.

Brot ist heilig – man darf nicht Brot auf dem Boden schmeißen, in den Müll werfen, mit den Füßen treten. Wenn man sieht, dass Brot auf dem Boden liegt, soll man es heben und irgendwo legen, wo keine Menschen laufen. Die Brotkrümel darf man auch nicht auf dem Boden oder in den Müll schmeißen.

Salz – ich glaube es gibt diesen Aberglauben auch in Deutschland. Wenn jemand das Salz verschüttet, bringt das Unglück oder Streit ins Haus. Um diesen Streit zu vermeiden, soll man von dem verschütteten Salz mit der rechten Hand dreimal ein wenig Salz nehmen und über der linken Schulter werfen. Ich weiß, es klingt seltsam…

Das kaputte Geschirr gehört nicht zum Tisch – von dem kaputten Geschirr zu Essen gehört bei uns zum schlechten Ton. Man sagt, dass es Unglück bringt.

Wenn die Handfläche mal juckt – bekommst Geld oder gibt du Geld aus. Wenn die rechte Handfläche juckt, bekommt du Geld und wenn die linke Hand juckt gibst du Geld aus.

Nie am Tischecke sitzen – dieser Aberglaube kam zu uns aus Russland. Wenn eine unverheiratete Frau am Tischecke sitzt, wird sie 7 jahrelang nicht heiraten können.

Spinnennetz bringt Unglück – man soll immer vom überall Spinnennetzt abputzen. Spinnennetzt bringt Unglück und indem, dass Spinne weiterhin ihr Nest webt, lasst sie das Glück und Harmonie nicht ins Haus ankommen.

 

So das ist ein kleiner Überblick in den spirituellen Alltag von den Menschen in Usbekistan. Falls dir noch weitere Aberglauben oder Bräuche einfallen, schreib gerne in den Kommentaren.

 

In Liebe,

Nadira

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Usbekistan: meine Reise im Jahr 2021